Amerika ist wohl tatsächlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Was dort beim letzten Weltcup passiert ist, kann man nicht anders beschreiben.
Nach unserer Ankunft kam allerdings als erstes eine Hiobsbotschaft aus der Heimat. Meine Mutter musste notoperiert werden. Da es ihr zum Zeitpunkt meiner Abreise schon sehr schlecht ging, wusste ich, dass höchste Lebensgefahr besteht. Eines der schlimmsten Dinge die man sich vorstellen kann ist tatsächlich der Moment, indem du am anderen Ende der Welt sitzt, während einer deiner Elternteile um sein Leben kämpft. Das war wohl der längste bange Tag meines Lebens. Gott sei Dank bekam ich dann nachts noch den erlösenden Anruf, dass Mama die Op überstanden hat.
Tags darauf hatten wir Trainingslager. Wir besuchten die Kletterhalle in der die letzten Jahre immer unser Weltcup stattfand. Das schönste an dieser Halle: hier findet man Paraclimbing Routen!
Da ich meinem Finger noch etwas Schonzeit geben musste, konnte ich leider nur ein paar ausgewählte Routen gehen. Dies reichte allerdings schon vollkommen aus, um mit einem richtig guten Gefühl in den Wettkampf gehen zu können. Ein besonderes Schmankerl war die AL2-Route ( für Beinamputierte). Sie hatte wunderschöne Bewegungen zu bieten und ich konnte sie fast bis zum Top durchsteigen. Ich freute mich schon sehr auf diesen ersten Wettkampf der Saison.
Der darauf folgende Tag sollte mich dann nochmal aus der Komfortzone holen. Salt Lake zeigte sich wohl von der Tiroler Seite. Von 26 Grad und Sonnenschein am Vortag zu 2 Grad und Schneesturm am nächsten Tag. Mein Körper war vollkommen überfordert. Ich war mehr als dankbar um die Begleitung der Physiotherapie, die sofort ihr Bestes gab.
Am Tag vor dem Wettkampf besuchten wir noch den Salzsee. Ein klein wenig Kraft tanken in der wunderschönen Natur die Salt Lake zu bieten hatte. Die Weiten Amerikas sind etwas ganz Besonderes. Auf der einen Seite den schönsten Frühling des Südens zu sehen und auf der anderen Seite den tiefsten Winter des Nordens, ist schon sehr faszinierend.
Am Abend bekamen wir dann auch schon die Klettervideos zum studieren. Die Routen schauten wirklich sehr spannend und gleichzeitig wunderschön aus.
Dann war es endlich soweit! Während sich die Ersten auf den Weg zum Wettkampf machten, blieb ich noch ein wenig im Appartement. Ich startete als Letzte unserer Gruppe und genoß so noch etwas die Ruhe vor dem Sturm. Michi holte mich so ab, dass ich die Möglichkeit hatte, Linda und Edith in der ersten Route zu beobachten, denn wir hatten die selben Quali-Routen. Im Anschluss ging es für mich zum Aufwärmen. Mir wurde schnell klar, ich muss in der ersten Route alles geben, denn die zweite Route war oben raus sehr leistig und ich wollte meinen Finger noch etwas schonen, um im Finale voll auf Angriff zu gehen.
Als Erste in den Wettkampf einzusteigen ist schon ein sehr besonderes Gefühl. Man hat noch niemanden aus seiner Klasse klettern sehen und weiß eigentlich nicht, was da auf einen zukommt. Oben raus waren die Griffe dann doch schlechter als geglaubt, ich kam zwar richtig gut ins fighten, ging dann aber leider vom Topgriff ab. Viel zu gerne hätte ich mir dieses erste Top geholt.
Als ich dann meinen Konkurrentinnen zusah, merkte ich aber schnell, dass meine Leistung schon mehr als gut genug war.
In der zweiten Route war ich ziemlich genau in der Mitte des Starterfeldes. Die meisten starken Kletterinnen waren vor mir, was mir etwas half, die richtige Strategie zu finden. So wusste ich wie weit ich klettern musste, um sicher im Finale zu sein. Ich brauchte also nicht mehr voll anzugreifen und konnte so mehr auf meinen Finger achten. Die Route war wunderschön und ich kam in einen guten Flow. Aber dann kam dieser eine Griff, den ich mit beiden Händen hielt, als ich jedoch anzog und mein Finger sagte: nein, der gefällt mir nicht. Ich lies los und beendete somit die Quali. 7 weitere Kletterkolleginnen später wusste ich, dass ich nicht nur im Finale bin, sonder klar als Favoritin am ersten Platz liege.
Wir verweilten noch ein wenig in der Kletterhalle und schauten den anderen Kletterern zu. Zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren konnte ich wieder einen Wettkampf genießen. Ich blendete all die schwierigen Zeiten der letzten Wettkämpfe aus, und hatte einfach nur Spaß am Tun. Vielleicht war auch genau das der Schlüssel zum Erfolg. Vielleicht aber auch der Gedanke, ohne irgendwelchen Erwartungen starten zu können. Am Abend widmeten wir uns noch ganz und gar der Regeneration. Zuerst verweilten wir im Whirlpool, danach gab es noch eine Physiobehandlung für mich. Gut entspannt ging es dann ins Bett.
Am nächsten Morgen kam dann doch noch die Nervosität vor dem, was die Finalroute bringen wird. Somit beschloss ich kurzerhand einen Spaziergang im naheliegenden Park zu absolvieren. Eine halbe Stunde später war der Kopf wieder frei und ich konnte mich auf den Wettkampf vorbereiten. Kurze Zeit später ging es dann schon in die ISO Zone. Noch knapp eine Stunde verblieb mir zum Aufwärmen, ehe ich die Route besichtigen durfte.
Meine Aufwärmroutine ist ein guter Anker um nicht wieder in Nervosität zu versinken. Ich sprach mich noch kurz mit den Coaches ab und schon ging es zur Besichtigung. Wie soll ich es erklären: als wir uns nach der Vorstellung endlich zur Route umdrehen durften, wusste ich, das wird mein Moment. Die Route war machbar, perfekt für meinen Finger, und ich ahnte, ich kann der Welt zeigen was in mir steckt. 6 Minuten später mussten wir dann wieder zurück in die ISO Zone. Von da an hieß es warten, bis ich endlich an der Reihe war. Was draußen passierte wusste ich ja nicht.
Endlich war es soweit – ich konnte in die Kletterwand einsteigen. Schnell kam ich in einen Flow und konnte die Route voll genießen. Rasch kam ein mega Applaus, ich dachte aber, dieser gilt dem anderen Kletterer, denn er war schon deutlich höher geklettert als ich, und kämpfte weiter, das Top war schon fast zum greifen nah. Eine falsche Körperposition zwang mich dazu, einen Griff mit der linken Hand anzuspringen, dies gefiel dem Ringband allerdings ganz und gar nicht und so wurde ich von der Route abgeschüttelt. 3 Griffe vor dem Top war die Route also zu Ende für mich. Doch mit welchem Ergebnis? Als ich unten ankam wurde mir schon gratuliert, aber hat es wirklich gereicht? Spätestens als mir die Physio entgegensprang und mir zum ersten Platz gratulierte, da wusste ich es ganz gewiss. Ich war einfach nur überglücklich. Ich hab es endlich geschafft, ich bin wieder an der Weltspitze angekommen, und das sogar mit einem gerissenen Ringband.
Während mir die Physio aus der Spastik half, berichtete sie mir, dass alle anderen Mitbewerberinnen an der selben Stelle rausgeflogen sind, sprich, bei Ihnen ging es um Countback und Zeit, es tat mir schon sehr leid für sie. Als mir diese dann selber erzählten wo sie gestürzt waren, wurde mir bewusst, dass der Applaus am Anfang doch mir gegolten hatte. Nun hieß es noch Daumen drücken für unsere Jungs, die das Finale erreicht hatten.
Auch Markus und Angelino konnten ihre Leistung abrufen und belegten den 3. Sowie den 1. Platz in ihrer Kategorie. Ich gratuliere ihnen recht herzlich. Die Siegerehrung erinnerte mich irgendwie an meine allererste Siegerehrung. Die österreichische Nationalhymne zu hören brachte mich den Tränen nahe. Die ganze Last der letzten eineinhalb Jahren fiel von mir ab. Ich fühlte mich wie Phönix, der aus der Asche stieg. Nie hätte ich gedacht, dass ich es schaffen könnte in der höheren Kategorie Anschluss zu finden. Doch das ganze harte Training hat sich gelohnt.
Ich bin allen die mich nicht aufgegeben haben, extrem dankbar. Den Trainern, meinen Freunden und natürlich auch meiner Sportpsychologin sowie dem Verband und ganz besonders meinen Eltern, die immer zu mir halten. Ohne die Unterstützung von allen hätte ich wahrscheinlich aufgegeben, und den Sport mit einem schlechten Gefühl verlassen.
Ein großes Danke auch an unsere Physiotherapeutin, die wirklich alle Hände voll zutun hatte um mir zu helfen, die noch kurz vor dem Einstieg die Spastik aus mir rausholte, und nach dem Klettern sofort wieder zur Stelle war. Auch dir gehört ein Stück meiner Medaille!
Nun bin ich aber froh wieder zu Hause zu sein, freu mich drauf weiter trainieren und meinen Finger mehr und mehr an die Belastung gewöhnen zu können.
Aber noch mehr freue ich mich, Zeit mit meiner Mama verbringen zu dürfen, und meinen Schatz Chiara wieder um mich herum zu haben.