Knapp 450.000 Menschen in Österreich sind davon betroffen. Ich muss gestehen, ich liebe es nicht der Norm zu entsprechen aber in diesem Fall wäre es schön, in irgendeine Schublade zu passen. Es würde so manches einfacher machen. Wusstet ihr, dass Menschen mit einer seltenen Erkrankung im Durchschnitt 7-10 Jahre Ärztemarathon über sich ergehen lassen müssen, bevor sie wissen, was eigentlich los ist?
Allerdings heisst das noch lange nicht, dass man weiß, wie die Krankheit verläuft bzw. wohin die Reise geht. Denn dann gibt es noch die Krankheiten, wie in meinem Fall, die bei jedem anders verlaufen. Wo sozusagen jeder ein Unikat ist. Viele Betroffene werden lange nicht ernst genommen oder noch schlimmer – es wird als psychosomatisch abgetan. Viele Seelen zerbrechen daran.
Aber was soll man machen, wenn man in so einer Situation steckt ?
Als erstes: man ist darauf angewiesen einen Arzt zu haben der auch mal über den Tellerrand blickt, dem man vertrauen kann und der für einen da ist.
Zweitens: gebt euch bitte nicht auf, sucht unbedingt Hilfe wenn es mal zu viel wird.
Mein dritter und wichtigster Ratschlag: lernt euren Körper kennen, traut euch auch mal die Grenzen der Ärzte, oder auch eure eigenen, zu verschieben.
Man darf ruhig das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.
Ich zum Beispiel habe in dieser schweren Zeit Halt im Sport gefunden, habe dadurch eine ganz andere Körperwahrnehmung gewonnen. Auch verschiebe ich regelmäßig die Grenzen des Möglichen, passe dadurch zwar noch weniger in das Schema F, aber hey, ich weiß, ich gebe alles um meinen Körper so lange wie möglich fit zu halten. Aber auch ich bin des Öfteren an meine körperlichen wie psychischen Grenzen gestoßen und muss gestehen, dass es mir leichter fällt, die körperliche Grenze zu verschieben, als meine psychische Verfassung zu stärken. Gerade das letzte halbe Jahr hat mich dahingehend stark gefordert. Aber ich bin dankbar, dass ich so viele liebe Menschen um mich herum habe, die Verständnis dafür aufbringen, die mich unterstützen und mich nehmen so wie ich bin. Ich habe auch den Schritt gewagt von außen Hilfe zu holen. Was definitiv nicht einfach war. Warum ich euch das hier erzähle? Ich will euch damit zeigen, dass selbst vermeintlich starke Persönlichkeiten oft eine harte Geschichte hinter sich haben.
Mit dem heutigem Blog zum Tag der seltenen Erkrankungen hab ich beschlossen, euch ein wenig Einblick in meine Geschichte zu gewähren. Ich will euch damit Mut machen und den Verzweifelten unter euch zeigen, dass ihr nicht alleine seid. Auch ich bin in der Phase der Diagnosefindung sehr oft an meine Grenzen gestoßen. Angefangen hat alles im Jahr 2012. Ich war gerade richtig angekommen im Leben. Die Ausbildung zu meinem Traumberuf war beendet und ich konnte direkt als Leitung in mein Berufsleben einsteigen. Als ich eines Morgens aufwachte bemerkte ich, dass ich mit dem linken Auge nur noch verschwommen sah. Naiv wie ich damals war, dachte ich, oje jetzt kommt das Alter in dem man Brille tragen muss. Als ich dann den Termin bei einer Augenärztin machte stellte sich schnell heraus, eine Brille wird wohl nicht die Lösung sein. Die Diagnose lautete: Sehnerventzündung. Was das für mich und meine Zukunft bedeuten sollte war mir damals noch nicht ganz klar. Nachdem ich dann zum ersten Mal, zur genaueren Abklärung, eine ziemlich komische Begegnung mit den Neurologen in der Klinik hatte, war ich froh dass meine Augenärztin, eine niedergelassene Neurologin und mein Hausarzt meine Behandlung übernahmen und mir die Hoffnung gaben, dass sowas auch einmalig auftreten kann und ich mein Leben sorglos weiterführen könnte.
Dass sich ab hier mein Leben komplett auf den Kopf stellen wird, war mir absolut nicht bewusst. Schon ein paar Wochen später folgte der nächste Schub. Ich wurde in die Klinik eingewiesen um zu sehen, was nun wirklich los war. Eine schreckliche Vermutung jagte die nächste. Allerdings konnte keine bestätigt werden. Ich wurde entlassen mit der Diagnose :„spastische Paraparese unklarer Ursache“. Schon damals erklärte mir die Neurologin an der Klinik, dass sich eine Diagnosefindung über Jahre hinziehen kann. Was ich einst belächelte, wurde irgendwann zur traurigen Gewissheit.
Wie ich diese Jahre überstehen konnte? Ich hatte eine ganz einfache Strategie: ich setze mich während den Schüben mit der Erkrankung auseinander, in den Phasen dazwischen genieße ich mein Leben und mach einfach alles was mir gefällt. Mit dieser Strategie konnte ich einige Jahre leben. Mein Sport war mein Ausgleich, ich liebte es jeden Tag ein paar Stunden auf den Skates zu stehen. Mein Beruf war meine Berufung und ich genoss es, ganz kleinen Menschen bei der Entwicklung ihrer eigenen Persönlichkeit beiseite zu stehen.
Doch irgendwann kam die Phase in der es keine Zeit gab, in der ich einfach „gesund“ war, und ich musste mich damit abfinden, eine Gehbehinderung zu haben. In der ersten Reha war ich dann auf der Suche nach einem neuen Sport und verliebte mich ins Klettern.
Von da an war Klettern mein sicherer Hafen. Auch wenn diese Sportart den Ärzten nicht so gut gefallen hat. Mir war es wichtiger Psychohygiene zu betreiben, als aus reiner Vorsicht einfach gar keinen Sport mehr zu machen. Nach wie vor fuhr ich ganz gut mit meiner Strategie. Trotz meiner Gehbehinderung hab ich alles Mögliche getan und viele wunderbare Abenteuer erlebt.
Doch diese Strategie brach komplett zusammen als ich meinen Unfall in den Dolomiten hatte, mein Leben veränderte sich zum wiederholten male schlagartig. Die Erkrankung schien mich komplett einzunehmen. Nach wie vor wusste niemand was ich eigentlich hatte. In mir kroch panische Angst hoch. Mit 30 im Rollstuhl was kommt da noch?
Ich versuchte genaue Antworten bei den Ärzten zu finden, was jedoch nicht gelang. Hier kam es dann oft zu Situationen, die mich schier an den Rand der Verzweiflung brachten. Ärzte die mich untersuchten, keinen Rat hatten und es dann mit – ist halt so – abgetan haben. Ärzte die mich nicht ernst nahmen oder einen einfach wegschickten. Ich versuchte im ersten Jahr nach dem Unfall alles nur erdenklich Mögliche um aus dem Rollstuhl zu kommen, aber ich musste mich geschlagen geben. Damit war auch klar, dass ich nicht mehr zurück in meinen Job kommen kann. Der nächste Tiefschlag in meinem Leben.
Aber mir blieb noch etwas Wichtiges – das Klettern. Hier fand ich auch in dieser Zeit Trost und Halt. Noch ein sehr wichtiger Teil der neuen Gegebenheiten waren meine Ärzte und Therapeuten, die mit mir den Weg des Unbekannten gegangen sind, und immer an meiner Seite waren. Auch die Trainer begaben sich auf unbekanntes Gebiet nahmen aber gerne die Herausforderung an und unterstützen mich bis heute. Sie waren auch für mich da, als ich keine Kraft mehr hatte auf Diagnosesuche zu gehen. Sie nahmen und nehmen mich ernst, was für mich ein sehr wichtiger Part ist. Denn ohne sie hätte ich wahrscheinlich schon lange aufgegeben. Ich bin auch sehr froh um mein soziales Umfeld, meine Familie und meine Freunde, die mich auch an Regentagen nehmen, mit dem
Wissen, dass es im Sonnenschein wieder die „alte“ JASMIN geben wird.
Im Jahr 2021 kam dann die langersehnte Diagnose. Ich dachte eigentlich, mich kann nichts mehr umwerfen, natürlich kam es auch hier anders als erwartet. Eine seltene Erkrankung ( ein Familienerbstück ) es gibt ca. 800 Menschen in Österreich die davon betroffen sind. Es sind ca. 80 bekannte Gene welche diese Behinderung auslösen und wahrscheinlich noch genauso viele die nicht bekannt sind. Kein Ei gleicht dem anderen. Also wieder kein – das kann man gezielt tun, sondern ein – mach weiter wie bisher. Selber schauen was einem gut tut und was nicht.
Aber auch diese Situation lernte ich zu meistern. Meine Antwort darauf ist trainieren und machen was mir gefällt. Meine Grenzen verschieben und weiter Spaß am Leben haben. Inzwischen bin ich auch so richtig im Leistungssport angekommen. Es ist wie mein Beruf, nur ohne Bezahlung. Meine Lohn: Wettkämpfe, jede menge Länder und ganz viele tolle Persönlichkeiten kennenlernen.
Doch die letzte Saison hat mich extrem gefordert. Einige haben bestimmt meinen Blog zur Klassifizierung gelesen. Plötzlich befand ich mich wieder in der Situation wie schon damals, bei der Diagnosefindung. Aber das sollte noch nicht genug sein. Nach einem weiteren Schub mitten in der Saison, kam eine weitere Verdachtsdiagnose auf. Es scheint so als ob sich mein Horror von 2012 wiederholen soll. In der Hoffnung, dass dieses Mal alles schneller geht und ich bald Klarheit habe, es vielleicht sogar behandelbar ist. Man weiß es zur Zeit einfach nicht. Termine bei Ärzten zu bekommen wird leider auch immer schwerer.
Die Probleme im Sport, in Zusammenhang mit dem neuen Verdacht, haben mich leider an das Ende meiner psychischen Stärke gebracht. Ich bin froh, dass ich Hilfe von außen bekomme, bin froh um mein Umfeld und um ganz viele liebe Menschen die mich unterstützen. Irgendwann kam wohl der letzte Tropfen der den Brunnen zum überlaufen bringt. Langsam finde ich wieder zurück ins Leben, hab wieder die Freude am Klettern gefunden. Das verdanke ich ganz vielen kletterbegeisterten Menschen die sich nicht damit abfinden konnten, mich nicht mehr in der Halle zu sehen. Aber ich merke nach wie vor, dass jede schlechte Nachricht eine Nachricht zu viel ist, darum heißt es jetzt den beginnenden Frühling für schöne Erlebnisse zu nutzen, jeden kleinen Erfolg zu feiern um wieder zu Kräften zu kommen. Ich werde nicht aufgeben, aber manchmal braucht auch eine starke Seele Hilfe um wieder zu Kräften zu finden…….