Nach dem letzten Weltcup hatten mich viele negative Gefühle fest im Griff. Wiedereinmal zweifelte ich daran, dass ich noch weiter im Wettkampfsport bleiben sollte. Genau da sollte auch noch im wohlverdienten Urlaub der nächste Schub anklopfen. Irgendwie dachte ich schon, dass es gar nicht mehr aufhören will.
Mein Coach gab mich aber nicht auf. Er stand voll und ganz hinter mir, verlangte aber dennoch, dass ich keine voreiligen Schlüsse ziehe und bat mich, mit ihm zu tainieren und dabei einfach mal nur Spaß zu haben.
Ich denke es war auch für ihn keine leichte Zeit und wir mussten wieder einmal sehr situationsflexibel sein. Meine Hände spielten teilweise komplett verrückt. Aber wir meisterten die Trainings. Er ist tatsächlich, wie schon so oft, mein Fels in der Brandung. Gibt mir Halt, Zuversicht und fordert mich dennoch in jedem Training heraus.
Die Unberechenbarkeit hatte dann irgendwann ein Ende. Etwa zwei Wochen vor der Europameisterschaft fand mein Körper langsam in eine stabile Phase. Die Trainings verliefen immer besser. Ich konnte meinem Körper wieder etwas mehr zumuten und er gewährte mir auch wieder schwerere Routen zu klettern.
Das Gefühl wurde ein besseres bis hin zu dem Punkt, an dem ich mich dann auch drüber traute zu sagen, ich fahre nach Villars. 2 Tage vor der Abfahrt fanden sich alle EM Teilnehmer in Innsbruck zum Trainingslager zusammen. Da zwei Trainingstage hintereinander noch eine Herausforderung waren, erlaubten mir die Nationalteam Coaches mich zurückzunehmen. Am ersten Tag hatte ich noch so ein richtig gutes Gefühl in den Routen. Der zweite Tag war dann schon etwas herausfordernder in den Routen, doch die Krafteinheit am Nachmittag fühlte sich richtig gut an. Ich war also bereit für den Wettkampf.
Am Donnerstag morgen fuhren wir dann nach Villars. Da ja leider der Fernpass und die nächst kürzeste Strecke durch Murenbagänge gesperrt waren, mussten wir über Deutschland fahren und hatten dadurch einen ziemlich langen Anreiseweg. Kurz vor der Ankunft fuhren wir noch nach Villeneuve, wo ein Routensetzer Workshop stattfand. Nach einem kurzem „Hallo“ fuhren wir weiter nach Villars. Dort angekommen blieb kaum Zeit den Koffer aufs Zimmer zu bringen, denn auf uns wartete ein internationales Teamessen.
Es war so schön, einen kleinen Teil der EM Teilnehmer zu sehen, aber vor allem war es schön, das Schweizer Nationalteam wieder zutreffen. Gemütliche dreieinhalb Stunden später ging es dann wirklich ins Hotel um auszupacken, aber auch schon um schlafen zu gehen.
Der Freitag war dann ganz im Zeichen der Erholung. Da allerdings um 12:00 ein weiteres internationales Teamessen am Programm stand, beschlossen wir am Vormittag kurz zur Wettkampfwand zu gehen. Als wir dann vor der mächtigen Wand standen, kamen leider die Erinnerungen an das letzte Jahr hoch. Ich spürte plötzlich wie unwohl ich mich fühlte, und wusste schlagartig nicht mehr, ob ich bereit bin am Wettkampf teilzunehmen. Die inneren Dämonen wollten überhand nehmen. Kurzerhand beschloss ich, nicht sofort mit den anderen in die Stadt zu gehen, sondern eine Auszeit in der Natur zu verbringen. Lukas, der mitreiste um meinen Geburtstag mit mir zu verbringen, begleitetet mich. Wir fanden ca 10 Minuten später einen kleinen, süßen Wald, der zum verweilen einlud.
Kurze Zeit später waren die Dämonen dann wieder still, und ich bereit zurück ins Hotel, bzw zum Mittagessen zu gehen. Nach dem Essen beschlossen wir nochmal in die Natur zu gehen, um ein wenig die Akkus aufzutanken. Also fuhren wir mit der Seilbahn den direkt am Venue liegenden Berg hinauf. Dort verbrachten wir ein paar Stunden mit viel Sonnenschein, Ruhe und einer atemberaubenden Aussicht. Als die Bahn ihre letzte Abfahrt machte, war ich aber noch nicht bereit zurückzugehen. Meine Akkus brauchten noch etwas Natur. So beschlossen wir erneut an den Platz vom Morgen zu gehen. Etwas höher fanden wir dann auch für mich eine Möglichkeit, direkt an den Bach zu kommen. So setzten wir uns ans Ufer und ließen die Gedanken im plätschernden Wasser hinter uns. Zum Abschluss bauten wir noch ein paar Steinmännchen, ehe wir dann zurück ins Hotel gingen.
Dort angekommen, setzten wir uns noch kurz in den Garten, um 20:00 berief dann Marco noch eine Besprechung ein. Zum Start der Besprechung wartete eine liebe Überraschung auf mich. Mir wurde mit einem Geburtstagsständchen ein Kuchen überreicht. Ich freute mich riesig. Nachdem uns die Jungs mit den Informationen aus dem Technical Meeting versorgt hatten, war es auch schon an der Zeit, mit Michi, unserer Physio, auf das Zimmer zu gehen, um mich fit für die Quali am nächsten Tag zu machen. Ich muss gestehen, ich profitiere so arg von ihr, ich bin einfach nur überglücklich, dass uns der Verband Michi ermöglicht. Leider sollten wir keine Videos von der Quali bekommen, so dass ich dann beschloss, früher ins Bett zu hüpfen.
Als wir dann beim Frühstück saßen, kamen auch endlich die Klettervideos. Ich hatte zuerst eine sehr technische Route zu bewältigen, in der ich mir nicht viele Hoffnungen machte weit zu kommen. Freute mich dann aber umso mehr auf die zweite Route, denn die schaute einfach nur cool aus, und so, als ob ich ein paar Meter machen könnte.
Anschliessend machten wir uns auch schon auf den Weg in die Isozone. Ich wollte mir genug Zeit fürs aufwärmen gönnen. Etwa eineinhalb Stunden später verließen wir die Isozone und rollten Richtung Venue. Langsam wird es ernst. Unten angekommen, zog ich mich um und beschloss, noch einmal ein paar Griffe in die Hand zu nehmen. Kurze Zeit später war ich auch schon an der Reihe. Ich startete als 2. in meiner Gruppe. Die Cruxstelle sah ich ja schon am Video, hab daher an dieser Stelle alles gegeben, diesen Zug 4x versucht, aber leider bin ich dann gescheitert. Dennoch war ich wirklich stolz auf meine Leistung. Später war klar, dass ich dennoch am weitesten gekommen bin. Bevor ich in die zweite Route einsteigen sollte, wärmte ich ein wenig den Core auf. Immerhin ist die Wettkampfwand in Villars sehr steil. In dieser Route war ich als Letzte in meiner Kategorie an der Reihe. Diese Tatsache setzt mich immer etwas mehr unter Druck, denn ich will natürlich weiter kommen als die anderen. Dass den anderen der Überhang stark zu schaffen machte, erschreckte mich ein wenig. Doch als ich dann in die Route einstieg, fühlte ich mich sofort wohl. Sie war einfach nur wunderschön. Irgendwann schüttelte mich aber auch diese Route aus der Wand. Egal, denn ich bin am weitesten gekommen und setzte mich nach der Quali an den ersten Platz. Zufrieden aber platt, konnte ich den anderen bei ihrer Quali zusehen.
Michi war nach den Routen sofort an meiner Seite und löste die Spastik. Ich denke, dass ich durch ihren Einsatz einfach ein Stück mehr meiner Performance zeigen kann und darf. Nach der Quali gingen wir wieder zurück zum Hotel um uns zu duschen ehe wir dann zum Abendessen aufbrachen. Dort erfuhr ich dann, dass ich am nächsten Tag meine Finalroute an der Speedwand haben sollte, meine Nerven lagen blank. Gott sei Dank konnten mich Luis und Hannah etwas beruhigen, dennoch ging ich mit einem mulmigen Gefühl ins Bett. Mal sehen was der nächste Tag so bringt.
Die Nacht war extrem unruhig, deswegen war ich auch schon recht früh wach. In der Nacht war ein markanter Wettersturz. Es regnete die halbe Nacht, sodass wir am morgen bei tiefsten Nebel und 90 prozentiger Luftfeuchtigkeit aufstanden. Beim Frühstück machte ich mir noch so einige Gedanken über die Route. Im Endeffekt war allerdings nur eines wichtig, weiter zu kommen als die Konkurrenz. Da ich das am Vortag geschafft hatte, hoffte ich auf mein Glück.
Wir rollten wieder zu Fuß in die Isozone. Ich musste nochmal den Kopf auslüften bevor es losging. Kurz vor der Isozone wär ich fast aus dem Rolli geflogen. Ich lachte und meinte, oh das ist ein gutes Omen, schließlich wär ich in Salt Lake fast aus dem Apartment geköpfelt als wir zur Iso fuhren.
Nach der Anmeldung begann ich dann auch schon mit dem Warmup. Als ich dann mit dem ersten Teil fertig war, ging ich mit Michi zur Wand. Dort versuchten wir ein paar markante Züge an der Platte, um mich auf die Speedwand vorzubereiten. Plötzlich kam der Chef Judge in die Halle und verkündete, dass aufgrund des schlechten Wetters, der Wettkampf um mindestens 2 Stunden verschoben werden muss. Sie versuchten alles in ihrer Macht stehende, um die Routen trocken zu bekommen.
Ich beschloss immer wieder an die Wand zu gehen, damit ich nicht nochmal komplett mit dem aufwärmen beginnen muss. Kurze Zeit später kam Christiane, eine weitere Athletin welche die Route an der Speedwand haben sollte, und teilte mir mit, dass ich meine Aufwärmart ändern
sollte, denn es ist niemand an der Speedwand. Sofort rollte ich zu einem der Offiziellen und fragte nach, ob dies wirklich der Fall war. Er bejate es, und erklärte mir, dass durch die hohe Luftfeuchtigkeit die Route an diese Wand zu nass sei, und so nicht zu beklebten ist. Weiters informierte er mich, welche Route ich nun klettern darf. Ich durfte auf die Hauptwand. Überglücklich beschloss ich meine Aufwärmstrategie dahingehend zu ändern. Ich wusste, an dieser Wand kann ich endlich zeigen was in mir steckt und mein ganzes Können abrufen.
2 Stunden später startete tatsächlich der Wettkampf. Die ersten Kategorien wurden vom Shuttle zum Venue gefahren. Ich ging ein letztes Mal an die Wand, Michi senkte noch einmal meinen Tonus. Eine halbe Stunde später wurde schon unsere Klasse aufgerufen, um sich bereit für die Fahrt zur Wettkampfwand zu machen. Dort angekommen zog ich meinen Klettergurt an, setze meine Kopfhörer auf und aktivierte nochmal schnell meinen Core.
Wenige Minuten später durften wir unsere Route besichtigen. Mein erster Griff ging zu den Fußtritten am Start. Diese fühlten sich etwas feucht und rutschig an. Das hieß also aufpassen mit steigen. Als ich mir die Route dann genauer anschaute, fand ich sie richtig cool. Allerdings war ich an einer Stelle nicht ganz sicher, ob ich die Route richtig gelesen hatte. Dennoch wusste ich von Anfang an, dass mir diese Route richtig gut gefallen wird, an dieser Schlüsselstelle hatte ich die Hoffnung, zu spüren, wohin ich ziehen muss.
Als ich nach den 6 Minuten Besichtigung zurück an die Kletterwand rollte, sah ich Linda weinend stehen, konnte aber nicht nach dem Grund fragen. Ich hoffte nur, dass sie nicht genau an dieser Schlüsselstelle die falsche Entscheidung getroffen hatte. Die zwei anderen Finalistinnen in meiner Kategorie waren einige Zeit unterwegs, aber irgendwie wurde ich nicht nervös. Ich freute mich einfach nur auf die Route. Endlich war ich an der Reihe. Ich rollte an die Wand zog mir die Jacken aus (es war wirklich kalt geworden), schmierte meine Hände mit Liquid Chalk ein und war bereit. Als ich das Go der Judge bekommen hatte, startete ich endlich los. Ich fühlte mich vom ersten Griff weg einfach nur wohl. Dann hörte ich das Publikum laut werden, ich wusste ich hab den ersten Platz erreicht. Ich war noch ziemlich fit und konnte noch einige Züge weiter klettern, ehe die Zuschauer immer lauter und lauter wurden. Plötzlich gingen mir die Füße weg, meine Hände zogen zu, die Spastik kam leider auch. Das ließ mich aber nicht davon abhalten weiterzuklettern. Ich brachte die Beine wieder an die Wand und schaffte noch 4-5 Züge ehe die Wand mich abschüttelte. Rausgefallen konnte ich den Jubel einfach nur genießen. Ich war überglücklich.
Ich war dabei als ein Stück Paraclimbinggeschichte geschrieben wurde, und noch dazu darf ich mich erste Europameisterin nennen. Ein unbeschreibliches Gefühl. Wenn das nur alles wäre, nein natürlich nicht. Nur mein Team wusste davon, dass ich, wenn ich Europameisterin werde, die Nationalhymne stehend erleben will, so gingen wir kurz vor der Siegerehrung hinter die Bühne um meine Orthesen anzuziehen. Als dann unsere Kategorie zur Siegerehrung an der Reihe war, gab es die große Überraschung: ich g i n g zum ersten Mal aufrecht Richtung Podium. Ich bekam erstmals stehend die Medaille überreicht und durfte die Hymne in aufrechter Position hören. Nicht nur ich war den Tränen nahe.
Die erste Europameisterschaft wird wohl immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben.
Ich ließ es mir dann natürlich nicht nehmen ins Publikum zu laufen. Auch hier einer der schönsten Momente, die Community stehend zu umarmen. Die Überraschung war mir mehr als gelungen. Jeder freute sich mit mir. Der Tag hätte eigentlich nicht schöner enden können.
Ich will mich bei allen bedanken, die mich in den letzten schweren Wochen unterstützen und an mich glaubten. Ich will mich bei Michi bedanken, für die grenzgeniale Behandlungen in dieser Zeit, bei Marco und Gusti für die gute Betreuung, aber natürlich auch bei Lukas, der uns begleitete um mir einen unvergesslichen Geburtstag zu garantieren, und natürlich auch bei den Mädels die uns tatkräftig unterstützten und anfeuerten.
Nach dem Wettkampf ist natürlich vor dem Wettkampf, wir sehen uns also in Arco……